18. 3. 2016

"Wir müssen enorm schuften"

Interview mit Daniel Beneš, Vorstandsvorsitzender von ČEZ Erschienen am 18.3.2016 in Hospodářské noviny, s. 12

ČEZ IST EINES DER WENIGEN GROSSEN ENERGIEUNTERNEHMEN, DAS NACH WIE VOR SCHWARZE ZAHLEN SCHREIBT. DOCH DIE GEWINNE GEHEN ZURÜCK, WEIL DER STROMPREIS SINKT. DER GRUND DAFÜR SIND INBESONDERE DIE NIEDRIGEN ROHSTOFFPREISE, VOR ALLEM DER ÖLPREIS, SOWIE DER BOOM BEI DEN SUBVENTIONIERTEN ENERGIEQUELLEN. DAS SIND DRAMATISCHE VERÄNDERUNGEN, SAGT DANIEL BENEŠ.

D. Beneš

Daniel Beneš, Vorstandsvorsitzender von ČEZ

Daniel Beneš leitet seit sechs Jahren das größte tschechische Energieunternehmen. In dieser Zeit sank der Strompreis in einem beträchtlichen Maße, was auch die Erträge von ČEZ mindert. Dennoch schreibt die Firma nach wie vor schwarze Zahlen. „Seit 2012 sind wir das einzige Energieunternehmen, dessen Rating unverändert ist“, sagt Beneš. Und er betont, dass hinter den guten Ergebnissen umsichtige Investitionen und eine der niedrigsten Verschuldungsraten unter ähnlich großen Branchenunternehmen stehen.

* HN: ČEZ gelingt es nach wie vor solide Gewinne einzufahren, die Aussichten der Firma für dieses Jahr sind jedoch nicht mehr so optimistisch. Anstelle eines Gewinns von beinahe 28 Milliarden im vergangenen Jahr wird in diesem Jahr mit einem Gewinn von nur etwa 18 Milliarden Kronen gerechnet.

Die Zahl ist im Vergleich zu den Gewinnen in der Vergangenheit natürlich niedriger. Wenn sie sich jedoch die Entwicklung der Strompreise anschauen, ist es eher verwunderlich, dass wir in der Gewinnzone sind. Unsere Konkurrenten verzeichnen allesamt Verluste und befinden sich in einer wirtschaftlichen Flaute. E. ON weist ein Minus von beinahe 190 Milliarden Kronen auf, Vattenfall 57 Milliarden und RWE mehr als fünf Milliarden. Und fast keiner, außer uns, zahlt Dividenden. Im Vergleich dazu halte ich unseren Bruttogewinn vor Abschreibung in Höhe von 60 Milliarden und den Nettogewinn von 18 Milliarden für gut. Dafür müssen wir auch enorm schuften.

* HN: Besteht ein Risiko, dass ČEZ in Zukunft rote Zahlen schreibt?

Unter bestimmten Umständen ist dies möglich. Die Energiebranche verändert sich auf dramatische Weise. Und das geschieht sehr schnell, ohne Rücksicht auf den Lebenszyklus der Kraftwerke. Die großen Marktteilnehmer haben in Energiequellen investiert, die nicht den Gewinn abwerfen, der zu dem Zeitpunkt erwartet wurde, als über deren Bau entschieden wurde. Wenn die Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, können sie damit kein Geld mehr verdienen und ihr Unternehmenswert muss neu bewertet werden. Dasselbe gilt auch für die Kohlekraftwerke, die beispielsweise in der ersten Hälfte ihres Lebenszyklus stehen, also fast völlig neu sind. Damit befasst sich allerdings niemand. Die Energiebranche braucht aber Langfristigkeit, weil die Rentabilität der Investitionen auf lange Zeit angelegt ist. Ein weiterer Faktor ist der Strompreis, der bei 20 EUR pro Megawattstunde liegt. Innerhalb eines Jahres brach er um 11 EUR ein, was ein unglaublicher Wert ist, der die finanzielle Gesundheit von Firmen beeinträchtigt. Dies hängt mit der Energie aus erneuerbaren Quellen zusammen, deren Preis nicht vom Markt, sondern durch Subventionen bestimmt wird. Der Markt für klassische Kraftwerke wird damit noch kleiner. Der Preis ist verzerrt und besitzt keinerlei Aussagekraft über die Kosten der Stromproduktion in Kraftwerken. Die Ratingagenturen konnten sich das nicht länger anschauen und führten eine Neubewertung aller Marktteilnehmer durch.

* HN: Davon sind Sie jedoch nicht betroffen.

Wir sind in einer fantastischen Lage, denn unser hervorragendes „A-“ Rating blieb unverändert. Und nur zwei großen europäischen Firmen wurde das Rating mit stabilem Ausblick bestätigt. Neben uns ist es das spanische Unternehmen Iberdrola, das auf erneuerbare Energiequellen gesetzt hat. Alle anderen haben einen negativen Ausblick, was faktisch bedeutet, dass ihr Rating innerhalb von drei Monaten um eine Stufe herabgesetzt wird. In dieser Kategorie sind die Unternehmen E. ON, RWE, Vattenfall, EdF und weitere. Seit 2012 sind wir damit das einzige große Energieunternehmen, dessen Rating unverändert geblieben ist.

* HN: Warum ist ČEZ das einzige Unternehmen in Europa, dem es so geht?

Wir waren schon immer konservativ eingestellt, wenn es um die Verschuldungsrate geht. Und wir verfügen über Ressourcen, die auch in dieser dramatischen Situation in der Lage sind, Geld zu verdienen. Ich behaupte jedoch nicht, dass wir nicht auch in eine solche Schieflage geraten können. Zum Beispiel dann, wenn der Strompreis weiter sinkt. Die erwähnten 20 EUR sind nicht das Ende, weil es kein Ende gibt. Wenn aber alles weitergeht wie bisher, werden Börse und Markt einbrechen und der Strom wird zu den Kunden auf einem anderen Wege gelangen, als über Angebot und Nachfrage. Ich kann mir die Situation vorstellen, in der schließlich an eine jede Energiequelle irgendeine Form von Tarif oder Subvention gebunden oder sie Gegenstand von Wettbewerb bei Auktionen sein wird, wie es jetzt bei den erneuerbaren Energiequellen der Fall ist.

* HN: Wann kann diese Situation eintreten?

Das lässt sich nur schwer einschätzen, aber um das Jahr 2030 herum muss etwas Grundlegendes geschehen.

* HN: Wird es nicht früher passieren? Die deutschen Energieunternehmen trennen bereits die subventionierten und rentablen erneuerbaren Energiequellen von den klassischen Kraftwerken. Wird damit der deutschen Regierung nicht bereits jetzt das Messer an die Kehle gesetzt, dass die klassischen Kraftwerke abgeschaltet werden und Deutschland ohne Strom sein wird, wenn sie von der Regierung nicht unterstützt werden?

Ich denke nicht, dass das der Hauptgrund ist für die Abspaltung ist. Aber es hat eben auch diesen Effekt. Es ist wie bei einem Ballon. Die Firmen werfen nach und nach Ballast ab, um weiter in der Luft zu bleiben. Das, was E. ON macht, also die klassische Energieerzeugung auf die Firma Uniper zu verlagern, ist unter den deutschen Bedingungen eine durchaus vernünftige Erwägung. Das ist meine persönlich Sicht, ich habe dafür auch keinerlei Belege. Aber es kann passieren, dass diejenigen Firmen, deren Investitionen von der aktuellen Politik der deutschen Regierung gefährdet werden, mit dem Staat in einen Rechtsstreit treten werden. Ich weiß nicht, ob das passieren wird, aber die Unternehmen werden es zumindest versuchen müssen.

* HN: Zwei Jahre lang hatten Sie Interesse an den Kraftwerken von Vattenfall in Deutschland, aber jetzt haben Sie bekannt gegebenen, dass Sie sie nicht mehr wollen. Warum?

Der Verkaufsprozess dauerte ein knappes Jahr. Auch für Vattenfall ist die Lage prekär, weil das Unternehmen seine Aktiva in Deutschland zu einem Zeitpunkt bewerten ließ, als der Strompreis noch 30 EUR betrug. Am Tag der Angebotseinreichung kostet er jedoch nur etwas mehr als 20 EUR. Wenn man aber die zum Verkauf stehenden Teile mit Preisen Stand März 2016 bewertet, kommen ganz andere Zahlen heraus, als von Vattenfall erwartet wurden.

* HN: Haben die Aktiva des Unternehmens einen negativen Wert?

Würden wir heute ein verbindliches Angebot für die Teile vorlegen, die zum Verkauf stehen, so wäre der Wert negativ.

* HN: Czech Coal und die Energie- und Industrieholding mit PPF haben ein Angebot vorgelegt …

Dann haben sie wohl einen negativen Preis vorgelegt.

* HN: Nein, das weisen sie zurück. Sie sagen, sie haben viele Bedingungen genannt, unter denen sie auf das Geschäft eingehen würden.

Vattenfall veräußert sehr attraktive Vermögensteile. Aber es gibt eine Menge Fragen in diesem Zusammenhang. Wesentlich sind zum Beispiel die Gelder für die Rekultivierung. Sollte der Strompreis auf dem jetzigen Niveau bleiben, werden die Vattenfall-Kraftwerke den Rekultivierungsfonds niemals füllen können. Und das ist nur eines der Themen.

* HN: Ist Vattenfall für ČEZ bereits Vergangenheit?

Wir haben nur gesagt, dass wir kein Angebot für die zum Verkauf stehenden Unternehmensteile vorgelegt haben. Mit Vattenfall stehen wir in Kontakt und sind bereit zu verhandeln, wenn sich gewisse Bedingungen des Auswahlverfahrens ändern. ČEZ ist für Vattenfall in Deutschland der natürlichste Partner. Wir verfügen über dieselben Kraftwerke, wir haben Synergien beim Betrieb und wir haben eine hohe Expertise im Stromhandel. Sollte Vattenfall einen anderen Partner wählen, bleibt uns nichts Anderes übrig, als viel Glück zu wünschen. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass wir in ein paar Monaten wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wir werden aber bestimmt kein Unternehmen erwerben, die keinerlei Chancen auf Gewinne hat.

* HN: Wo sehen Sie denn weitere Chancen auf Gewinne?

Geografisch sollte es in Tschechien oder in den umgebenden Ländern sein, wo das Regulierungsumfeld stabil ist. Der deutsche Markt hat nach wie vor für uns Priorität. Wir sind an erneuerbaren und regulierten Energiequellen interessiert, bei denen die Gewinnsicherheit ein hohes Niveau erreicht. Für unsere Aktionäre möchten wir ein stabiles Umfeld und stabile Dividenden. Wir stehen jedoch nicht unter Druck, sofort etwas kaufen zu müssen. Das Schlimmste ist, wenn Sie eine Transaktion nur tätigen, weil andere sagen, dass Sie in dieser Hinsicht seit Langem nicht mehr aktiv waren.

* HN: Sind Sie nicht allzu konservativ?

Gerade aufgrund unseres konservativen Ansatzes, sind wir von allen Energieunternehmen am besten dran. Wir haben beispielsweise keine Investitionen in Russland getätigt.

* HN: Aber Sie haben unter anderem auf dem Balkan investiert, wo Sie ebenfalls Eigentum abschreiben mussten …

Das ist richtig. Aber wenn Sie alles zusammennehmen, so sind wir noch immer konservativer als zum Beispiel RWE oder E. ON. E. ON hat in Russland mehrere Milliarden Euro in den Sand gesetzt.

* HN: Über Investitionen in Russland haben Sie auch gesprochen?

Ja, aber der Vorstand war dagegen. Ich war dabei und bin insgesamt sehr froh, dass wir uns so entschieden haben. Rückblickend können wir uns gratulieren.

* HN: In Albanien zum Beispiel haben Sie jedoch ein Unternehmen verloren.

Erstens: unsere Investitionen auf dem Balkan waren weitaus geringer als diejenigen, über die wir in Zusammenhang mit E. ON bzw. RWE in Russland sprechen. Und als ich angefangen habe mich mit Albanien zu befassen, war es eher eine Frage, wie wir aus diesem Thema herauskommen und Geld zurückerhalten können. Am Ende ist es uns tatsächlich gelungen. Die albanische Seite, die sich zur Zahlung von etwa 2,7 Milliarden Kronen innerhalb von fünf Jahren verpflichtet hatte, erfüllt ihre Verpflichtungen wie vereinbart.

* HN: Kehren wir zurück zu Ihren weiteren Plänen. Es gab Spekulationen darüber, dass Sie es auf die Wärmekraftwerke von EdF in Polen und auch in Deutschland abgesehen haben.

Polen ist sicher eine Gelegenheit, die wir beobachten und in Erwägung ziehen. Die Wärmeerzeugung ist ein Geschäft, das uns nahesteht; es ist relativ sicher und Polen ist ein Nachbar. In Deutschland beobachten wir vor allem die erneuerbaren Energiequellen.

* HN: Es wurde auch über Ihr Interesse an der Firma Thyssengas gesprochen. Zum ersten Mal überhaupt würden Sie sich in den Bereich der Gasförderung bewegen.

Ja, das ist eine interessante Gelegenheit. Wir arbeiten daran, aber mehr verrate ich nicht. Grundsätzlich passt die Gasförderung in unsere Strategie.

* HN: Am Mittwoch haben Sie mitgeteilt, dass Sie mehr in erneuerbare Energiequellen investieren möchten. Haben Sie da nicht schon einen Trend verschlafen? Hatten Sie nicht allzu lange darauf gehofft, dass die klassische Energie wieder auf die Beine kommen würde? Alle großen Marktteilnehmer sind bei der grünen Energie von Anfang an ganz groß dabei.

Und Sie haben das Gefühl, dass wir langsamer sind?

* HN: Ja.

Das denke ich nicht. Die erneuerbaren Energiequellen haben hektische und chaotische Zeiten erlebt. Besonders in Tschechien sind sie beinahe zu einem Schimpfwort geworden. Sich großen Investitionen in grüne Energien zu widmen, wenn unser Hauptaktionär der Staat ist, das war hier praktisch unmöglich.

* HN: Hat sich daran bereits etwas geändert?

Das System der Förderung hat sich verändert - das ist wohl die wesentlichste Veränderung. Aber in Tschechien gibt es im Allgemeinen nicht viele Gelegenheiten für den Bau von Windkraftwerken. Und die Tatsache, dass wir uns jetzt vor allem auf Deutschland und Polen konzentrieren, ist primär darauf zurückzuführen, dass wir ein stabiles Regulierungsumfeld wollen, das uns eine hohe Rentabilität sichert.

* HN: Und Polen ist stabil? Das dortige Parlament berät derzeit ein Gesetz, das praktisch alle Ihre Windenergieprojekte blockieren würde, an denen Sie dort arbeiten…

Das ist nicht ganz richtig. Wir sind gerade dabei, die Lage zu analysieren. In Polen arbeiten wir an etwa 15 Projekten. Am weitesten fortgeschritten sind die Arbeiten an den Windparks Krasin und Suvalky. Die Vorbereitungen sind nun leicht ins Stocken geraten. Die Auktionen bezüglich der Förderung erneuerbarer Energiequellen hätten bereits ausgeschrieben sein sollen, sie haben sich jedoch wegen der neuen Regierung um ein halbes Jahr verzögert. Nun wird darüber gesprochen, welche Gestalt das dortige Fördermodell annehmen wird. Polen ist zwar vor allem auf Kohle ausgerichtet – der auch die aktuelle Regierung wohlgesonnen ist, aber dennoch müssen die Forderungen der EU an die Energieproduktion aus erneuerbaren Energiequellen erfüllt werden. Also wird dort mit Sicherheit ein Rahmen für die Förderung entstehen.

* HN: In Anbetracht der aktuellen Probleme in Polen waren Ihre Ausflüge ins Ausland zur Windkraft nicht unbedingt erfolgreich.

Warum glauben Sie das?

* HN: Das größte Projekt war der Bau eines riesigen Windparks in Rumänien, wo Sie auch über Jahre hinweg im Streit mit dem Staat lagen, der nach der Fertigstellung des Windparks für eine Summe von mehr als 20 Milliarden die Fördermittel begrenzte. Die Summe für den Windpark mussten Sie dann abschreiben.

Dort haben sich die Regeln verändert, aber ich halte das, auch trotz der Neubewertung der Anlagen, nicht für ein erfolgloses Projekt. Es geht nach wie vor um das größte europäische Windkraftwerk auf dem Festland; und das Geld, das es verdient, ist sehr gut.

* HN: Wo überall möchten Sie in grüne Energien investieren?

Wie bereits gesagt, in Ländern mit einem stabilen Umfeld. Das ist nun primär Deutschland, wo wir über unseren Partner Aquila Capital Anteile an großen Windparks in Deutschland erwerben wollen. Außerdem stehen auch Frankreich und Großbritannien in unserem Fokus.

* HN: Bei der Bekanntgabe der Vorjahresergebnisse haben Sie wiederholt die Möglichkeit des Verkaufs einiger Ihrer Aktiva erwähnt.

Wir haben gesagt, dass wir uns dagegen nicht wehren werden.

* HN: Und gegen welchen Verkauf werden Sie sich am wenigsten wehren? Angeblich möchten Sie Ihren Vertrieb in Bulgarien veräußern, wo Sie seit Jahren gegen die Regulierungsbehörde kämpfen und ein Schiedsverfahren wegen entgangener Investitionen in Betracht ziehen.

Ich würde es nicht als Kampf gegen die Regulierungsbehörde bezeichnen. Doch wenn der Kauf unserer bulgarischen Aktiva für jemanden sinnvoll wäre, kann ich es mir durchaus vorstellen, dass wir verkaufen werden. Wir haben keine Rangliste mit dem, was wir am ehesten verkaufen wollen. Sollte die Transaktion sinnvoll und für uns vorteilhaft sein, werden wir dem keine Steine in den Weg legen.

* HN: Zum richtigen Preis ist doch alles zu verkaufen.

De facto ist das wohl richtig. Doch gerade im Falle Bulgariens gilt es umso mehr. Das dortige Umfeld ist, gelinde gesagt, kompliziert.

* HN: Wer würde den dortigen Vertrieb von Ihnen kaufen? Könnte ihn der Staat wieder übernehmen?

Ja, zum Beispiel. Wir werden sehen.

* HN: Stehen Sie derzeit in Verhandlungen mit dem Staat?

Ohne Kommentar. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

* HN: Was steht noch zum Verkauf?

Bulgarien dürfte doch genügen, oder nicht?